Viersterne Hotel
Es scheint sich in der Entenkolonie herumgesprochen zu haben, dass man am Gisshübelweg eine Luxus-Loftwohnung mieten kann. Über zwei Teiche gelegen, geschützt unter dem Dach, auf dem Balkon, mit Blick ins Leimental. Seit vielen Jahren haben sich die geduldig Nistenden, uneingesehen, von Wachholder verdeckt, sicher gefühlt.
Es ist ratsam, früh zu buchen, um das begehrte Appartement zu reservieren. Mit Stammgästen, die bereits im Januar herbeifliegen, sind wir vertraut. Wir erkennen sie an ihrem Verhalten. Es ist stets eine Freude, dem Paarungs-Ritual beizuwohnen und mitverfolgen zu dürfen, wie liebevoll das Nest vorbereitet und mit ausgerupften Federn ausgepolstert wird! Jeden Tag beobachten wir, wie ein Ei nach dem andern gelegt und sorgfältig zugedeckt wird. Der Erpel wartet mit stoïscher Ergebenheit im Teich. Gemeinsam fliegen sie später weg.
Unsere Dauermieter bleiben heuer, aus unerklärlichen Gründen, plötzlich weg, nachdem sie seit Mitte Januar Alleinherrschende gewesen waren. Sofort eroberten andere Anwärter das Territorium. Oh weh, welch unerbittlicher Kampf, gnadenlos, brutal, als das Paar wieder auftauchte! Mit Geschrei stürzten sich die wütenden Erpel auf die hilflosen Weibchen, bissen sie in den Hals, drückten sie unter Wasser und versuchten sie zu vergewaltigen. So schnell gaben sich die Eindringliche nicht geschlagen. Erneut wagten sie einen Versuch nach dem anderen. Mit ohrenbetäubendem Gezeter und Gekreische wurden sie erbarmungslos verjagt.
Eines Vormittags, als die eingewanderte Ente, welche direkt in das Nest unter dem Wacholder fliegt, bereits auf ihren auszubrütenden Eiern lag, wagte es die Konkurrentin, unsere Vertraute, Alteingesessene, sich der Brütenden drei Mal zu nähern, indem sie von der Ecke des Balkontrogs unter dem Gestrüpp hindurchkroch, was typisch für sie ist. Beim vierten Mal wurde es der Nistenden zu bunt. Sie erhob sich und begann auf die penetrant einzuhacken. Erschrocken und eingeschüchtert flog die Vertriebene in Richtung Scheibe, hinter welcher ich beobachtend, Geige spielte, watschelte unschlüssig, verstört und aufgeregt hin und her und ihr lautes, verzweifeltes Schnattern, vermischte sich mit meinen Bachklängen. Ich hörte förmlich, wie sie vor sich hin jammerte: „Was soll ich jetzt machen?“
„Waffenstillstand?“ fragten wir uns, als von diesem Tag an die beiden Erpel jeden Morgen auftauchten, durch die Wiese flanierten, in Eintracht gemeinsam schwammen und Kopfstand machten. „Gottlob, es herrscht Frieden“ – dachten wir……
Am 23. März, 21 Uhr 30, als wir lesend im Wohnzimmer sassen, riss uns zwei Mal ein unbestimmter, dumpfer Schlag aus unserer Gedankenwelt. „Was war das? Ist unser Entenmami, ungewohnt spät, von ihrem Abendausflug heimgekehrt und bei Vollmond in die Scheibe geflogen?“ Ein herzergreifend jammervolles Geschnatter durchschnitt die nächtliche Stille. Wir traten auf den Sitzplatz, spähten ins Dunkel. Etwas bewegte sich unruhig auf dem Wasser – die Ente! Nach kurzer Zeit senkte sich wieder Ruhe über den Garten. Was war geschehen? Mein Mann ging die Treppe hoch, schaute ins Nest – leer, aber intakt.
Traurig standen wir anderntags vor dem zerwühlten Federbett, in dem noch ein Ei lag. Ein zweites war vor die Balkontür gerollt. Im Garten ein ausgeschlürftes und angepicktes, bei den Nachbarn zwei Verlorene. Sichtlich war die Mahlzeit zu opulent! Der verbogene, selbstgebastelte Wasserfänger oberhalb des Trogs löste das Rätsel und zeugte vom nächtlichen Überfall. Welch wunderbare Abstiegshilfe! Nichts dabei denkend hatte mein Mann abgesägte, dünne Baumstämme hinter das Dach gelehnt – eine willkommene Leiter für den Hausmarder! Wer würde eine solche Einladung nicht annehmen, um mühelos übers Dach, zur ahnungslos Brütenden vorzudringen und sie zu überraschen? Unzählige herabgebrochene Ästchen auf dem Boden an der Westseite, verrieten uns dann seinen x-Mal zurückgelegten Fluchtweg, den Kletterwein benützend, weil der Rückzug übers Dach nicht mehr möglich war. Ein untrügliches Indiz! Die trauernde Ente sass am Vormittag lange, unbeweglich in die Ferne starrend, zwei Meter vom zerwühlten Nest entfernt.
Oh je! Bachab unsere Vorfreude! In diesen Tagen wären die Kleinen ausgeschlüpft – jedes Mal ein berührendes Schauspiel! Von der Mutter im Teich gerufen, tippeln die süssen „Wollknäuelchen“ zur Ecke der Balkonbrüstung, wagen den Sprung auf die Kegeltanne und rutschten ins Wasser. Ab und zu plumpst eines, wie ein Gummibällchen, auf die Steinplatten. Kann die Ente wohl zählen? Wenn alle ihre Babys unten sind, hört sie auf zu rufen und das Schwimmvergnügen beginnt. Hin und her pickend, dann plötzlich wie auf Schlittschuhen, flitzen die entzückenden Winzlinge übers Wasser, sich zwischendurch immer wieder unter den wärmenden Flügeln der liebevollen Mama am Ufer ausruhend.
Nach einigen Stunden wanderten sie jeweils aus, im Gänsemarsch, zwischen Häusern hindurch, zum Birsig hinunter. Vor Jahren machten sie Zwischenhalt in einem Pool, aus dem sie nicht mehr herauskamen und man sie retten musste (in der Dorfzytig dokumentiert). Wie viele Dramen mögen sich in unserm Garten schon abgespielt haben?
29. März: Die verjagte, alteingesessene Ente, kriecht zwei Mal ins verlassene Nest und schnüffelt herum. Ob sie wohl den Marderduft riecht? Später fliegt der enttäuschte Erpel, um seinen Nachwuchs betrogen, aufs Dach. Offensichtlich überlegt er: „Ist dieses vielgerühmte 4-Sternehotel, dieses Spa-Paradies noch glaubwürdig?“
Die Revierkämpfe halten uns weiterhin auf Trab und wir sind neugierig, in welche Richtung sich dieses spannende Geschehen entwickeln wird. Vielleicht folgt eine Fortsetzung……..